Der historische Apothekengarten

Orientiert an den Schloßgärten und deren Architektur des 17./18. Jahrhundert entstand wohl dieser barocke Stadtgarten um das Jahr 1806. Die Geradlinigkeit und Geometrie, die auf das Apothekenhaus ausgerichtet ist, zeigen wie, ausgehend von der höfischen Kunst, bürgerliche Gartenbautradition beeinflußt wurde.

Mit Sicherheit kann man davon ausgehen, daß sich im damaligen Garten auch ein Kräutergärtlein befand, in dem Kräuter zur Bereitung von Tees gezüchtet wurden. Ein Protokoll aus dem Jahre 1834 (siehe auch unter Historie) erwähnt neben der Apotheke auch einen "Wurzgarten beim Haus".

Bei den Bauarbeiten zur Renovierung stieß man auf angelegte Wege und Querwege. Diese Einteilung in Felder und Haupt- bzw. Querwege kann man auf einem historischen Stadtplan Mindelheims von 1818 sehr gut erkennen.

 

Historischer Apothekengarten

Foto links: Detailansicht des Stadtplans von 1818 (Pfeil = Apothekengarten), gleich daneben (westlich) gut zu erkennen der historische Garten der Maria-Ward-Schwestern (heutige Maximilianstr. 63).
Foto rechts: Apotheker Wilfried Rampp vor 1990 im "Dschungel" des verwilderten Gartens. Die damals meterhoch wuchernden Bärenklaupflanzen haben es in sich! Bärenklau (Herkuleskraut, Heracleum spec.) gehört in die Familie der Doldengewächse und enthält besondere Wirksubstanzen (Furanocumarine, wie Methoxypsoralen). Deswegen muß man Berührungen mit der Pflanze unbedingt vermeiden, da sonst schmerzhafte und sehr schlecht heilende Hautläsionen entstehen können!

 

Im hinteren Teil des Gartens wachsen unter anderem arzneilich bedeutsame Pflanzen wie der Aaronstab (Arum maculatum). Der geschützte Aaronstab mit seinen knallroten Beeren ist giftig. Früher z.B. von Hippokrates bei Lungenkrankheiten empfohlen. Auch Hieronymus Bock erwähnt den Aaronstab, er schrieb u.a. das KREÜTTERBUCH (1539). Auch die Kermesbeere (Phytolacca spec.) ist zu finden.

Die Kermesbeere ist eine alte Färberpflanze der Indianer Nordamerikas. Der Samen und alle Teile der Pflanze, ausser dem Fruchtfleisch, sind giftig! Zum Färben wird das Fruchtfleisch der dunkelroten bis schwarzen Beeren verwendet. Es handelt sich dabei jedoch um eine wenig lichtbeständige Textilfarbe. Die Heimat der Kermesbeere ist Nordamerika. Im 18. Jahrhundert erfolgte ihre Verbreitung nach Europa und von dort aus in das Schwarzmeergebiet. In Europa fand die Kermesbeere früher als Lebensmittelfarbe für Arzneien, Rotwein, Süsswaren usw. Verwendung. Die Pflanze findet in der Homöopathie Anwendung bei Grippe oder Gelenkrheumatismus.

Historischer Apothekengarten

Kermesbeere (Phytolacca)
Foto © privat

Neben diesen Pflanzen ist eine, äußerlich eher weniger sensationelle, botanische Rarität im Apothekengarten zu sehen: Die "kleine schwarzblaue Damascener Pflaume".

Der Mindelheimer Botaniker Hansjörg Hackel erkannte die Rarität, worauf Wissenschaftler wie die Vorgeschichts- und Kulturpflanzenbotanikerin Professor Dr. Udelgard Körber-Grohne sich für die "kleine Damascener" interessierten. Das besondere an dieser Rundpflaume ist, daß momentan kein anderer Standort in Deutschland bekannt ist und daß schon den Römern, die den Baum bei uns eingeführt haben, diese Pflaumen mit ihren asymmetrischen Kernen schmeckte. Deswegen wurden Ableger ("Schößlinge") zu privaten wie auch zu Forschungszwecken geholt.

Damascener Pflaume

Damascener Pflaume Baum rechts im Vordergrund
Foto © Tobias Hartmann

Frau Professor Körber-Grohne schreibt in ihrem Buch "Pflaumen, Kirschpflaumen, Schlehen:

Heutige Pflanzen und ihre Geschichte seit der Frühzeit" (Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1996) im Kapitel "Einfache Landrassen von Rund- und Ovalpflaumen" über die Mindelheimer Damascener Pflaume.

Leseprobe aus den entsprechenden Kapiteln von Frau Professor Körber-Grohne
"...Die dritte Stelle in Mindelheim hatte derselbe Begleiter ausgewählt, weil der historische Garten im Stadtinnern etwas Besonderes zu bieten versprach. Herr Hackel hatte mir Ende Juli 1992 von dem Pflaumenbaum in diesem Garten einige Früchte und Laubblätter zur Probe geschickt. Am 8.8.1992 habe ich Baum und restliche Früchte selber kennengelernt. Nach der Beschaffenheit der Steinkerne mußte es sich um eine »Kleine Damascener« bzw. einen ihr nahestehenden Abkömmling handeln. Diese Damascener sind die einzigen Rundpflaumen, welche sich von römischer Zeit bis in die Gegenwart verfolgen lassen. Ihre blauen Früchte reifen früher als andere Pflaumen: schon in der letzten Juliwoche. Das Fruchtfleisch der Mindelheimer Pflaume ist fest, und der Stein löst sich gut bzw. er liegt beim Aufschneiden der reifen Frucht frei in der Kernhöhle..."

Aus: Schedler, Christian: Der verwunschene Garten der Engel-Apotheke in: Unterallgäu und Memmingen, hg. vom Haus der Bayerischen Geschichte, Augsburg 2009 (Edition Bayern 09), S. 57 (erhältlich im Buchhandel oder im Online-Shop des Hauses der Bayerischen Geschichte)

 

 

Das läßt sich erschließen durch botanische Untersuchungen ihrer Steinkerne aus archäologischen Ausgrabungen. Dabei kommt uns zustatten, daß Pflaumen die einzigen unter allen unseren Obstarten sind, an denen sich anhand ihrer Steine Unterarten, Varietäten und teilweise auch Sorten (Typen, Formenkreise) erkennen lassen. Der Grund dafür ist die Größe der Steine (etwa gegenüber Apfel- und Weinrebenkernen) und die erhebliche Vielfalt von Formen und Oberflächenstrukturen. Voraussetzung ist jedoch ein guter Erhaltungszustand. Die Pflaumensteine fanden sich als Grabbeigaben, in oder bei Häusern, in Verfüllschichten von unbrauchbar gewordenen Brunnen, in Latrinen und Abfallgruben. Die ältesten derartigen Steinkerne stammen aus der Römerzeit (1.-3. Jahrhundert n. Chr.). Aus der Zeit des römisch besetzten Germanien gibt es im Rheinland und in Südwestdeutschland Fundstellen in den ehemaligen Römerstädten Köln und Xanten am Rhein sowie in Rottweil am oberen Neckar, ferner in mehreren Kastellen bzw. deren Lagerdörfern. Es sind Rund- und Ovalpflaumen festgestellt worden, wobei die Rundpflaumen mit mehreren verschiedenen Typen am verbreitetsten und zahlreichsten waren. Nur ein Typus von Rundpflaumen ließ sich einer heute noch lebenden Varietät zuordnen, nämlich zur »Kleinen Damascener«. Insgesamt sind für die Römerzeit in den römischen Provinzen innerhalb des heutigen Deutschlands mindestens fünf Varietäten/Sorten von Pflaumen festgestellt worden. Sie kommen im Allgemeinen zusammen vor mit Resten anderer Nutzpflanzen, darunter verschiedene Obstarten... " 

"Heutige Formen einfacher Landrassen und ihre Kennzeichnung Dritte Herkunft: Mindelheim (Allgäu), Sammlungs-Nr. 33 Im Zentrum der Kreisstadt Mindelheim befindet sich auf der Rückseite der Engel-Apotheke ein breiter, tiefer Garten. Nach Aussage des Apothekers, Herrn W. Rampp, geht die Anlage des Gartens bis in das 16./17. Jahrhundert zurück, wie alte Pläne und Urkunden bezeugen. Eine Umgestaltung erfolgte um 1820. Als er selbst den Garten vor einigen Jahren erworben habe, sei dieser »wie ein Dschungel aus Pflaumenbäumen und -sträuchern« gewesen. Im vorderen Teil des Gartens wurden dann alle Pflaumenbäume mitsamt ihren zahlreichen Schößlingen abgeschlagen, bis auf den einen Baum von Abb. 47. Wegen des dichten Standes in dem Pflaumengebüsch ist dieser Baum so lang und dünnstämmig... Abb.47 Pflaumenbaum im historischen Garten der Engel-Apotheke zu Mindelheim. Die Sorte konnte aufgrund ihrer Steinkerne als "Frühe kleine Damascener" identifiziert werden. 8.8.1992 

"Taxonomische Zuordnung: Die beschriebene Pflaume aus dem historischen Garten von Mindelheim ist deutlich anders als die vier übrigen Pflaumenherkünfte, und zwar wegen folgender Merkmale: Fruchtfleisch von fester Konsistenz, relativ trocken, vollständige Steinlöslichkeit, früher Reifetermin. Laubblätter klein und am Ende abgerundet. Steinkerne unsymmetrisch mit vorstehendem und gekieltem Nahtwulst. Der Pflaumenbaum hat nach Aussage des Besitzers keine Sortenbezeichnung. Er ist nicht in neuerer Zeit von einer Baumschule bezogen worden, sondern wächst seit langem in dem Garten. Bei meinem Bemühen um eine nähere Zuordnung wird deutlich, daß eigentlich nur die heutige Damascener in Betracht kommt. Diese gibt es in Frankreich. Sie wird für Pfropfunterlagen in Baumschulen gezogen... ...relativ breites Stielende. Anders als die Mindelheimer sind sie etwas größer, und die Asymmetrie ist schwächer. Doch unter Berücksichtigung aller Für und Wider erscheint es mir gerechtfertigt, die Mindelheimer Pflaume als eine Damascener anzusehen. Das ist um so interessanter, als bereits während des Klassischen Altertums von römischen Schriftstellern über Damascener Pflaumen berichtet wird. Und solche sind auch in Deutschland aus der Römerzeit und später nachgewiesen."
Foto © Tobias Hartmann
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